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Die Revolution der Mobilität

NEW BUSINESS - NR. 5, JUNI 2018
Digitalisierung und Vernetzung: Top-Themen im Automobilbau. © Fotolia/peshkova

Autonomes Fahren und E-Mobility: Die Automobilbranche steht vor großen Umbrüchen. Wie gut ist die Verbrennungsmotor-Nation Österreich für diesen Wandel gerüstet?

In Österreich sind 150 Unternehmen mit 30.000 Beschäftigten direkt in der Fahrzeugindustrie tätig. Insgesamt hängen rund 370.000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der Automobilwirtschaft und deren Zulieferern ab. Mit einem Auslandsumsatz von 14,1 Milliarden Euro ist diese die zweitwichtigste Exportbranche Österreichs. Themen wie E-Mobilität, Digitalisierung, innovative Technologien, autonomes Fahren oder CO2-Emissionen zwingen die gesamte Branche global und national zum Umdenken. Mit dem Wandel der Branche stellen sich die Fragen: Können wir am Ball bleiben? Wie innovativ wird Österreichs Mobilitätssektor in der Zukunft sein?

Innovation made in Austria
Die gute Nachricht gleich vorweg, denn die Zahlen belegen es: Österreich zeigt sich in Sachen Mobilität von seiner innovativen Seite. Jährlich werden durchschnittlich 348 Patente in Österreich im Bereich Automotive angemeldet. Jede 67. Automobil-Innovation weltweit kommt mittlerweile aus der Alpenrepublik. Nach Deutschland ist Österreich auf 100.000 Einwohner gerechnet das zweitinnovativste Auto-Land in Europa. Besonders in den Bereichen Elektromobilität und neue Materialien ist die heimische Forschung sehr stark. Im Bereich E-Car wurden in den vergangenen fünf Jahren nicht weniger als 233 Patente angemeldet, so die Ergebnisse einer Roland-Berger-Studie. Die österreichische Automobilwirtschaft ist daher ein starker Innovationstreiber innerhalb Europas.
Diese positive Entwicklung spürt auch Klaus Peter Fouquet, Österreich-Chef des Bosch-Konzerns: „Es gelingt uns immer wieder, Entwicklungsprojekte innerhalb der Bosch-Gruppe nach Österreich zu ziehen. Dabei profitieren wir von herausragenden Vorteilen, die der Wirtschaftsstandort Österreich bietet. Wir schätzen vor allem die gut ausgebildeten und verfügbaren Arbeitskräfte, aber auch die hohe Lebensqualität, die einen Arbeitsplatzwechsel nach Österreich attraktiv macht.“ An den Standorten Wien, Linz und Hallein betreibt Bosch internationale Entwicklungs-Kompetenzzentren für Mobilitätstechnik. Zudem bilden die Entwickler am Wiener Standort das gesamte Software-Know-how zum Thema Internet der Dinge ab.

Diesel als Wirtschaftsfaktor ... noch?
Österreich blickt auf eine lange Historie des Verbrennungsmotors in Forschung, Lehre und Produktion zurück. Dieselantriebe wurden in Österreich lange Zeit gefördert und haben eine lange Tradition. Die Folge: Fast sechs von zehn PKW fahren hierzulande mit Dieselantrieb. Seine volkswirtschaftliche Bedeutung für Österreich ist enorm: Diesel erzielt 17,2 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung, leistet einen Beitrag von sechs Prozent zum österreichischen BIP und ist für immerhin 5,2 Prozent aller heimischen Arbeitsplätze verantwortlich.
Derzeit herrscht aber dicke Luft: Der Selbstzünder kommt nicht aus den Schlagzeilen, die von Verunsicherung und Verärgerung bei den Fahrern durch die Abgasmanipulationen geprägt sind. Inzwischen traten in Deutschland erste Fahrverbote für ältere Dieselautos und Lastwagen in Kraft, Rom will den Diesel ab 2024 aus der Stadt verbannen. In Österreich sind Dieselfahrverbote nicht geplant, auch Steuererhöhungen auf den Kraftstoff soll es nicht geben.
Allerdings sehen rosige Zeiten anders aus: Kraftwagen mit Dieselmotor büßen sehr viel ihrer vormaligen Beliebtheit ein. Bei der Frage nach dem Antrieb, den das nächste Auto besitzen soll, entschieden sich bei einer Befragung nur noch 28 Prozent für einen Diesel. Im Vorjahr waren es noch 37 Prozent. Der Selbstzünder rutschte damit vom ersten auf den zweiten Platz ab. „Der Verlust der Favoritenrolle des Diesels ist zu einem geringen Teil eine verzögerte Reaktion auf den Dieselskandal. Hingegen dürften Diskussionen über mögliche Dieselfahrverbote in Städten das Ergebnis sehr stark beeinflusst haben“, analysiert Sven Rabe, designierter Vorstandsvorsitzender der VAV Versicherungs-Aktiengesellschaft das Ergebnis einer VAV-Umfrage. Bei älteren Gebrauchtwagen mit Dieselantrieb wird zudem ein Preisverfall zu erwarten sein.

Abkehr vom Verbrennungsmotor?
Nach Analyse aller Marktdaten und Informationen sehen die Experten beim Zulieferer Schaeffler eine Entwicklung, bei der im Jahr 2030 nahezu 30 Prozent aller Fahrzeuge vollständig elektrifiziert sind. 40 Prozent würden laut dem Unternehmen die Hybridfahrzeuge einnehmen – lediglich 30 Prozent der Fahrzeuge werden allein mit einem Verbrennungsmotor betrieben werden.
Auch über die Landesgrenzen zeigt sich: Die Pläne der Automobilbauer geben die Trends vor. So hat der schwedische Hersteller Volvo bekanntgegeben, dass ab 2019 alle neuen Volvo-Modelle ausschließlich als Mild-Hybrid oder Plug-in-Hybrid-Version jeweils mit der Kombination aus Benzin- und Elektromotor oder als rein batterieelektrisches Fahrzeug erhältlich sein werden. Als erster klassischer Automobilhersteller hat sich Volvo Cars im Juli 2017 für die Elektrifizierung entschieden und damit die umfangreichste E-Strategie in der Automobilindustrie präsentiert. „Unsere Zukunft ist elektrisch und wir werden keine neue Generation von Dieselmotoren mehr entwickeln“, erklärt Håkan Samuelsson, Präsident und CEO von Volvo Cars. „Wir werden Autos mit Verbrennungsmotoren auslaufen lassen, Benzin-Hybrid-Versionen sind zukünftig unser Angebot in der Transformationsphase auf dem Weg zu einer vollständigen Elektrifizierung.“ Auch andere Hersteller springen auf den Zug auf: Nissan will sein Dieselangebot in Europa schrittweise reduzieren. To­yota verkündet das Aus für den Diesel in Europa und bei Porsche endete die Produktion des Diesel-Macan, des letzten aktuell mit Selbstzünder erhältlichen Porsche. Einen vollständigen Ausstieg aus dem Diesel-Geschäft plant der Hersteller aber nicht.

Diesel als Teil der Mobilität von morgen
Vom Ende der „Dieselära“ will auch der Technologiekonzern Bosch nichts wissen. Immerhin habe man gerade einen Durchbruch bei der Dieseltechnologie erzielt: Mit der nun präsentierten Dieseltechnik ist es den Entwicklern gelungen, die Stickoxid-Emissionen massiv zu senken. Die mit der verfeinerten Technik ausgestatteten Testfahrzeuge emittieren durchschnittlich nur 13 Milligramm Stickoxid pro Kilometer. „Der Diesel hat Zukunft. Er bleibt Teil der Mobilität von morgen“, ist Bosch-Österreich-Chef Klaus Peter Fouquet überzeugt. Österreich gilt innerhalb der Bosch-Gruppe als bedeutender Entwicklungsstandort. Im vergangenen Jahr wurden die Entwicklungsaktivitäten im Land ausgebaut. „Auch heuer werden wir vor allem im Entwicklungsbereich wachsen,“ zeigt sich Fouquet mit dem Status quo zufrieden.

Autonomes Fahren: Österreich im Mittelfeld
Die Zukunft des Dieselmotors und die Auswirkungen auf Österreich sind daher ungewiss. Definitiv einer der Game Changer der Automobilbranche auch hierzulande wird das autonome Fahren sein. Doch wie gut ist Österreich bereits für das Fahren ohne Fahrer gerüstet? Im Vergleich zu 20 anderen Nationen liegt Österreich im Mittelfeld, wie der KPMG Autonomous Vehicles Readiness Index (AVRI) 2018 erhoben hat. Österreich belegt in der Analyse den zwölften Platz. Die besten Voraussetzungen für automatisiertes Fahren bestehen in den Niederlanden, in Singapur und in den USA. Zu den Stärken der Niederlande gehören die hohe Akzeptanz von Elektrofahrzeugen, die große Dichte an Ladestationen, das solide Telekommunikationsnetz sowie eine Vielzahl geplanter Praxistests. Verglichen wurden die Länder anhand der Voraussetzungen in den vier Bereichen Politik/Gesetzgebung, Technologie/Innovation, Infrastruktur und Kundenakzeptanz. Hinsichtlich Infrastruktur belegt Österreich mit Platz acht eine solide Top-10-Platzierung. „Das autonome Fahren wird nicht nur weltweit das Transportwesen revolutionieren – es wird sich auch in Österreich auf alle Aspekte des Lebens auswirken“, sagt Werner Girth, Partner bei KPMG in Österreich voraus.

Zusammenspiel vieler Faktoren nötig
Insgesamt steht die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes in einem engen Zusammenhang mit der Bereitschaft für autonome Fahrzeugtechnologien. Blickt man jedoch tiefer, lassen sich laut der KPMG-Analyse unter den Top-Platzierungen weitere Gemeinsamkeiten feststellen. Dazu gehört die Bereitschaft der Regierung, die Entwicklung des autonomen Fahrens zu steuern und zu regulieren, ein ausgezeichneter Zustand der Straßen, ein gut ausgebautes Mobilnetz sowie Investitionen und Innovationen durch die Privatwirtschaft.
„Autonome Fahrzeuge werden die Zukunft aktiv mitbestimmen. Die Frage lautet nicht ob, sondern wann autonomes Fahren zur alltäglichen Realität wird“, schildert Klaus Mittermair, Head of Automotive bei KPMG in Österreich, die Situation. „Partnerschaften zwischen den Regierungen und der Privatwirtschaft können die technologische Entwicklung vorantreiben und zugleich gewährleisten, dass der Einsatz selbstfahrender Fahrzeuge im Einklang mit den Zielen der Politik steht.“ Dabei sei es wichtig, alle Interessengruppen – Regierungen, Unternehmen und Bürger – in die Pläne für autonomes Fahren einzubinden.
Diese Sichtweise bestätigt auch der Bosch-Österreich-Chef: „Wir bei Bosch sehen eine Mobilität voraus, die elektrifiziert ist, automatisiert und vernetzt. Wir wissen, dass wir der Mobilität von morgen nur näherkommen, indem wir ganz konkret den Straßenverkehr von heute verbessern“, erklärt er. „Dafür müssen wir Mobilität neu denken. Das heißt: intermodal mit nahtlosen Übergängen vom Auto zu Bahnen oder Bikes. Unser Leitmotiv ‚Technik fürs Leben‘ motiviert uns, die bestmögliche Technik für den Umweltschutz zu entwickeln und einzusetzen. Um den möglichst emissionsfreien Verkehr zu verwirklichen, investiert das Unternehmen deshalb hohe Summen sowohl in den Markterfolg der Elektromobilität als auch in die Weiterentwicklung des Verbrennungsmotors.“

Hohe Kompetenz vonnöten
Angesichts der aktuellen Primärenergiestruktur und der Limitierungen durch Infrastruktur und Speichermedien gilt es, neben dem elektrischen Fahren kurzfristig technische und wirtschaftliche Lösungen für den Realfahrbetrieb auf Basis heutiger Antriebsstränge zu realisieren. Die Varianz der Energiespeicherarten sowie die aktuelle Vielfalt der Antriebsaggregate in Form von drei Motorbauformen, fünf verschiedenen Getriebearten und mindestens sechs unterschiedlichen Hybrideinbauarten und -orten erfordert ein hohes Maß an Antriebsstrang- und Fahrzeugkompetenz, um die technisch und wirtschaftlich optimalen Lösungen zu entwickeln. „Es braucht diese Kompetenz rund um die Automatisierung bei den Mitarbeitern, um die Technologien in der Produktion zu bedienen, zu steuern und weiterzuentwickeln. Daher bieten wir unseren Mitarbeitern entsprechende Weiterbildungen an, um bei der Digitalisierung ganz vorne dabei zu sein“, so Thomas Bauer, Geschäftsführer der Schaeffler­ Austria GmbH.

Umstieg auf neue Technologien erfordert Finanzkraft
Die Automobilzulieferer konnten – auch in Österreich – in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich wachsen. Der Grund dafür liegt einerseits im weltweiten Volumenwachstum und in den steigenden Anforderungen an die Produkte. Die Branche steht allerdings durch die Globalisierung und Disruption vor zwei wesentlichen Herausforderungen: Durch die Globalisierung verlagert sich der Schwerpunkt der Automobilproduktion nach Asien, was vor allem für mittelständisch geprägte Firmen hohe Anforderungen an Investition und Technologie bedeutet.
Zudem werden sich die Fahrzeuge der Zukunft vor allem durch E-Mobilität und autonomes Fahren tiefgehend verändern – ebenso wie die Wertschöpfungskette. Viele Fahrzeughersteller werden versuchen, die Wertschöpfung im eigenen Haus zu halten, um so drohendem Stellenabbau entgegenzuwirken. Für Dienstleister ergeben sich neue Geschäftschancen vor allem im Bereich Antriebstechnologien, da sich die Komplexität der Fahrzeuge erhöht. Der Umstieg auf neue Technologien und neue Produkte erfordert Finanzkraft, Mitarbeiter mit anderen Profilen und letztlich auch Zeit. Daher gilt es, über neue Wege der Technologiegewinnung wie M&A beziehungsweise Kooperationen nachzudenken. Letzteres ist in vielen mittelständisch geprägten Firmen neu und erfordert ein Umdenken. (MW)