Kunststoff-Kreislauf

NEW BUSINESS Guides - UMWELTTECHNIK- & ENERGIE-GUIDE 2020/21
Der Vorstandsvorsitzende Alfred Stern fördert seit Jahren die strategische Neuorientierung von ­Borealis in Richtung Kreislaufwirtschaft. © Borealis

Kunststoffe sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Was es jetzt braucht, sind wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die die Kreislauf­wirtschaft fördern ...

... und zugleich Innovation zulassen, meint Alfred Stern, CEO von Borealis, im Interview.

Borealis ist ein Anbieter von Lösungen in den Bereichen Polyolefine, Basischemikalien und Pflanzennährstoffe mit Konzernzentrale in Wien. Alfred Stern ist seit Juli 2018 CEO des Unternehmens, für das er bereits seit 2008 tätig ist. In dieser Zeit leitete er beispielsweise die Neuausrichtung der Polyolefin-Geschäftsstrategie und förderte die strategische Neuorientierung in Richtung Kreislaufwirtschaft.
Zu den Polyolefinen (PO) zählen sowohl Polypropylen (PP) als auch Polyethylen (PE), die wegen ihrer hervorragenden Eigenschaften gern eingesetzt werden. Im Gegensatz zu PET (Polyethylenterephthalat), wie man es von Getränkeflaschen kennt, stellt das Recyc­ling von PO die Industrie aber noch vor Herausforderungen. Borealis stellt sich diesen Herausforderungen. Wie, das erklärt CEO Stern auf den folgenden Seiten.

Welchen Anteil haben rezyklierte Polyolefine am Geschäft von ­Borealis?
Borealis setzt in seinem Kerngeschäft auf Kreislauforientierung: durch den schrittweisen Umstieg von einem Modell, das auf der Nutzung fossiler Ressourcen basiert, auf ein Modell, das auf einem Materialkreislauf basiert. Wir sehen die Kreislaufwirtschaft als eine strategische Aufgabe und als Chance für Wachstum. Dabei betrachten wir den gesamten Lebenszyklus unserer Produkte und binden die gesamte Wertschöpfungskette ein. Wir unterstützen die globale Initiative „A Line in the Sand“, indem wir uns dazu verpflichten, unsere Produktion von Kunststoffrezyklaten bis 2025 mehr als zu vervierfachen. Unser Weg vom reinen Hersteller von Polyolefinen hin zum Unternehmen, das Kunststoff sowohl erzeugt als auch rezykliert, begann 2016 mit der Übernahme von mtm plastics und mtm compact in Deutschland. Die darauffolgende Übernahme eines weiteren Kunststoffrecyclingbetriebs, Ecoplast in Wildon in Österreich, ist ein weiterer wichtiger Schritt in unserem Engagement in der Kreislaufwirtschaft und unterstützt uns in unserem Vorhaben, den Umfang unserer recycelten Kunststofflösungen bis zum Jahr 2025 auf 350.000 Tonnen zu steigern.

Wer sind die Kunden für rezykliertes PO? Wofür kann es verwendet werden, wofür nicht?
Borealis ist Vorreiter, wenn es darum geht, die Eignung von Polyolefinen (PO) für die Kreislaufwirtschaft zu entwickeln und zu optimieren. Zu den Kunden zählen Hersteller von Haushaltsgeräten, aber auch die Automobil- und Verpackungsbranche. Bei Haushaltsgeräten eignet sich das Material besonders für den Einsatz in sichtbaren schwarzen Teilen, z. B. in Klein­geräten wie Staubsaugern. Die Materiallösung weist einen Recyclinganteil von über 80 Prozent auf. Die Kundenvorteile sind hohe Beständigkeit für eine lange Lebensdauer sowie ein minimierter CO₂-Fußabdruck dank eines Recycling­anteils von 80 Prozent. Da sich die Automobilindustrie zunehmend auf Elektroantriebe konzentriert, werden Maßnahmen zur Senkung des Fahrzeuggewichts, zur Erreichung größerer Reichweiten und geringerer CO₂-Emissionen immer wichtiger. Borealis unterstützt seine Kunden und Partner aus der Automobilindustrie bereits seit dem Jahr 2014 dabei, den Anteil der in Fahrzeugen verwendeten Recyclingkunststoffe zu steigern, indem es innovative, polyolefinbasierte Lösungen entwickelt, die sowohl Neuware als auch einen höheren Anteil an Post-Consumer-Rezy­klaten (PCR) enthalten. Unsere High-End-Werkstofflösungen haben einen Post-Consumer-Rezyklate-Anteil von 25 bzw. 50 Prozent. Im Konsumgütersegment arbeitet Borealis derzeit an der Entwicklung einer Reihe von recycelten PP-Verbundstoffen mit einem PCR-Gehalt von 25 bis 50 Prozent, die in hochwertigen Verpackungsanwendungen eingesetzt werden sollen.

Was sind die Herausforderungen, um die Verwendung von Kunststoffrezy­klaten in der Praxis zu verbessern?
Uns ist wichtig, dass Kunststoffe am Ende ihrer Lebensdauer im Wertstoffkreislauf bleiben. Also weg von einem linearen Modell der Produktion, Nutzung und Entsorgung hin zu einem echten Kreislaufmodell. Kunststoffabfälle werden zum Rohstoff für neue Kunststoffe. Kunststoffe zu recyceln, ist aufwendig und hat seinen Preis. Zuerst muss der Kunststoffabfall eingesammelt, gereinigt und sortiert werden, denn nicht jede Sorte ist für den Recyclingprozess geeignet.
Der Anteil an rezyklierten Kunststoffen ist im Vergleich noch gering, und das Potenzial wurde trotz des heimischen Know-hows bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Was es jetzt dringend braucht, sind gesetzliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die die Kreislaufwirtschaft fördern und gleichzeitig Innovation zulassen. Es braucht Quoten für den verpflichteten Einsatz von Rezyklaten bzw. nachhaltig produzierten Kunststoffen und wirtschaftliche Bedingungen, die Investitionen ins Recycling attraktiv machen, sowie den Schulterschluss der gesamten Industrie und Wertschöpfungskette, um die Kreislaufwirtschaft erfolgreich voranzutreiben. Große Auftraggeber können diesen Wandel forcieren, indem sie gezielt nachhaltig produzierte Kunststoffe nachfragen.

Ist eine hundertprozentige ­Recyclingquote erreichbar?
Wir berücksichtigten eine höhere Recycling­fähigkeit bei der Entwicklung neuer Produkte bereits in der Designphase. Wir nennen das „Design for Recyclability“. Um ein Beispiel zu nennen: Der Einsatz von Polyethylen-(PE-) und Polypropylen-(PP-)Monomaterial bei Verpackungen macht es möglich, dass das Material effektiv genutzt und wieder dem Kreislauf zugeführt wird, ohne unterschiedliche Materialien voneinander trennen zu müssen. Die Recyclingfähigkeit muss somit in die Verpackung selbst „eingebaut“ werden. So kann die Gesamt­umweltbelastung reduziert und weniger Abfall erzeugt werden, und es wird gleichzeitig sichergestellt, dass die wertvollen Ressourcen, die für die Herstellung solcher Verpackungen benötigt werden, so lange wie möglich im Nutzungs­zyklus gehalten werden. Da der Kunststoff durch seine Vielseitigkeit in ganz unterschiedlichen Branchen zum Einsatz kommt, variieren auch die jeweiligen Anforderungen an den Kunststoff stark. Aus heutiger Sicht ist die Verwendung von Rezyklaten noch nicht für jeden Anwendungsbereich geeignet. Somit ist es am effizientesten und nachhaltigsten, sowohl Neuware als auch rezykliertes Material einzusetzen.
Gemäß unserem Motto „Keep Discovering“ fließt ein erheblicher Teil unserer Innovationsressourcen in Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Bereich Recycling. Wir haben im Jahr 2018 mit EverMinds™ eine neue Plattform ins Leben gerufen, um unser Engagement für eine stärker kreislauforientierte Kunststoffwirtschaft zu untermauern und unsere Kunden und Partner zu inspirieren. Unter EverMinds haben wir auch unsere Palette an recycelten Polyolefinen (rPO) erweitert.

Gibt es alternative, nachwachsende Rohstoffe zur Herstellung von PO?
Einer der großen Vorteile von Kunststoff ist, dass seine Vorstufen aus verschiedensten Quellen (Öl, Gas, Kohle, Biomasse, Abfall etc.) kommen können. Welche Quelle die beste und nachhaltigste ist, ist im Einzelfall zu prüfen. Wenn sich Öl als die nachhaltigste Quelle he­rausstellt, sollte man diese auch nutzen. Uns ist wichtig, dass die jeweils am besten geeigneten Rohstoffe und Materialien möglichst effektiv eingesetzt werden und am Ende ihrer Lebensdauer im Kreislauf bleiben. Also weg von einem linearen Modell (Produktion – Nutzung – Entsorgung) zu einem echten Kreislaufmodell.
Die Weltbevölkerung wächst kontinuierlich und somit auch die Notwendigkeit an individueller Weiterentwicklung, der Bedarf an Kunststoffen wird daher weiter steigen. Wenn das aktuelle lineare Wirtschaftsmodell bestehen bleibt, dann wird dies zu mehr Kunststoffabfall führen. Die Lösung liegt im Wechsel zu einer Kreislaufwirtschaft. Borealis’ Vision ist, dass Kunststoff als Rohstoff wiederverwendet wird und im Kreislauf bleibt.
Wir arbeiten mit Partnern entlang der gesamten Wertschöpfungskette zusammen, um die Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen weiter voranzutreiben. Ein Beispiel dafür ist etwa das ReOil-Projekt der OMV (Zurückgewinnung von Rohöl aus Kunststoff).
Die Kreislaufwirtschaft steht für uns im Einklang mit unserem Unternehmenszweck, Leben verlangt Fortschritt. Wir entwickeln stets Neues, um unser Leben noch nachhaltiger zu machen. Sie ist eine Chance für uns als Unternehmen, aber auch für eine bessere Welt. (RNF)

ZUR PERSON
Alfred Stern stieß im Jahr 2008 nach seinem Abgang von E. I. DuPont de Nemours, wo er eine Reihe internationaler Führungspositionen innehatte, als Senior Vice President Innovation & Technology zu Borealis. Im Juli 2012 wurde er in den Vorstand von Borealis bestellt. Im Juli 2018 trat er die Nachfolge von Mark Garrett als CEO des Unternehmens an. Stern fördert seit Jahren die strategische Neuorientierung des Unternehmens in Richtung Kreislaufwirtschaft.

INFO-BOX
Über Borealis
Borealis ist ein Anbieter von Lösungen in den Bereichen Polyolefine, Basischemikalien und Pflanzennährstoffe. Das Unternehmen hat seine Konzernzentrale in Wien, beschäftigt derzeit mehr als 6.900 Mitarbeiter und ist weltweit in über 120 Ländern aktiv. Im Jahr 2019 erwirtschaftete Borealis Umsatzerlöse von 8,1 Milliarden Euro und einen Nettogewinn von 872 Millionen Euro. Borealis steht zu 64 Prozent im Eigentum von Mubadala, über deren Beteiligungsgesellschaft, sowie zu 36 Prozent im Eigentum der OMV. Gemeinsam mit Borouge, einem Joint Venture mit der Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC), und Baystar, einem Joint Venture mit Total in Texas, USA, liefert Borealis Produkte und Dienstleistungen für Kunden auf der ganzen Welt.
www.borealisgroup.com