Technologie-Hotspot im Waldviertel.

NEW BUSINESS Bundeslandspecial - NIEDERÖSTERREICH 2020
Insgesamt standen 65.000 m² Grundfläche für das neue Werk II zur Verfügung. © Kurt Hörbst

Das weltmarktführende Familienunternehmen Pollmann aus Karlstein setzt einen weiteren wegweisenden Expansionsschritt und hebt sein jüngstes Produktionswerk in Vitis aus der Taufe.

Die Entwicklung und Fertigung innovativer Produkte hat bei Pollmann seit mehr als 130 Jahren Tradition. Das Unternehmen wurde 1888 von Franz Pollmann als Handwerksbetrieb zur Herstellung feinmechanischer Geräte und Uhren in Karlstein gegründet und ist heute mit weiteren Produktionsstandorten in Vitis, Tschechien, China und in den USA weltweit aktiv. Wobei die Kernkompetenz der Waldviertler bei hochkomplexen Mechatronik-Bauteilen für die Automobilindustrie liegt. Bei Schiebedach-Kinematiken und elektromechanischen Türschlossgehäusen ist Pollmann mittlerweile Marktführer. „Was wir den ‚intelligenten Verbund‘ von Metall, Kunststoff und Elektronik nennen, erfüllt die hohen Anforderungen für die Produktbereiche Sunroof, Door, Powertrain, Engine und E-Mobility in idealer Weise. Deshalb gibt es auch kaum mehr eine Automarke weltweit, die keine Baugruppe von uns in ihrem Fahrzeug verbaut hat“, freut sich der geschäftsführende Gesellschafter Robert Pollmann.

Innovation mit Tradition
Mehr als 130 Jahre am hart umkämpften Automotive-Markt zu bestehen, ist für das Unternehmen bis heute keine Selbstverständlichkeit. Vielmehr setzt Pollmann auf Engagement mit zukunftsorientiertem Weitblick. „Da sich Pollmann in einer geografischen Randlage befindet, war man seit Anbeginn der Unternehmensgeschichte gezwungen, neue Wege zu gehen und neue Ideen zu entwickeln und dabei eigenständiges Know-how aufzubauen. Dem haben wir zu verdanken, dass wir heute über ein sehr breites Kompetenzprofil inkl. eigenem Werkzeug- und Anlagenbau verfügen“, ist Herbert Auer, CEO der Pollmann International GmbH, überzeugt. „Die Familie Pollmann war und ist sehr offen gegenüber neuen Entwicklungen und damit ein Vorbild für alle Mitarbeiter. Einer der Eigentümer beispielsweise ist ein Elektromobilitätspionier der ersten Stunde und auch privat seit Jahren ausschließlich mit elektrischen Antrieben auf der Straße unterwegs. Das macht ihn nicht nur zu einem fachlichen Experten in Theorie und Praxis, sondern auch zu einem Innovationstreiber für das Unternehmen.“
Gerade im digitalen Zeitalter steht die komplette Unternehmenslandschaft nach wie vor vor radikalen Umbrüchen. Der Traditionsgedanke eines Familienunternehmens wie Pollmann stand dem Innovationsgeist der jeweiligen Zeit jedoch nie im Wege. „Ich denke, dass gerade Unternehmen, die bereits in der vierten Generation erfolgreich sind – und im Fall von Pollmann sogar zwei Weltkriege überstanden haben –, es gewohnt sind, sich zu verändern und sich neuen Gegebenheiten, Trends und Entwicklungen auf den internationalen Märkten anzupassen“, so Herbert Auer. „Bei Pollmann bereiten wir uns bereits seit vielen Jahren auf das digitale Zeitalter vor und haben, wie bereits erwähnt, auch den Trend zur Elektromobilität früh erkannt und in unser Leistungsportfolio integriert. Darüber hinaus investieren wir jährlich hohe Beträge, um am Ball und damit fit für die Zukunft zu bleiben.“

Wegweisender Expansionsschritt
Als Pollmann als einer der größten Industriearbeitgeber im Norden Österreichs seinen jüngsten Expansionsschritt setzte, wurden in vielerlei Hinsicht neue Wege beschritten: Höchste Energieeffizienz, maximaler Automatisierungsgrad sowie ein digitaler Zwilling für das neue Produktionswerk in Vitis, auf dem alle Anlagen und Prozesse visualisiert und vorab simuliert werden können. Dies waren die Zutaten für weitere 60 neue Arbeitsplätze und eine Gesamtinvestition von 17 Mio. Euro. In einem Punkt bleibt Pollmann aber sehr traditionell: beim Bekenntnis zum Standort im nördlichen Waldviertel und zu den Menschen in dieser Region.
In den Jahren 2018/2019 wurde in rund 25 Kilometern Entfernung vom Headquarter in Karlstein ein zusätzliches Werk aus der Taufe gehoben. „Mit Pollmann 2.0 gehen wir schnurstracks in Richtung Industrie 4.0. Deshalb forderten wir von den ausführenden Firmen ein Set-up, das dem neuesten Stand der Technik entspricht. Eine maximal effiziente innere Logistik und eine modulartige Erweiterbarkeit des Gebäudes waren dabei Grundbedingung“, beschreibt Robert Pollmann die hohen Ansprüche der Eigentümerfamilie bei diesem Grüne-Wiese-Projekt.

Flexibel erweiterbares Werk
Insgesamt standen 65.000 m² Grundfläche für das neue Werk zur Verfügung. Ein weiterer Fixpunkt war der Fertigstellungstermin. Nachdem Pollmann nur dann expandiert, wenn ein konkreter Kundenauftrag dahintersteckt, schwebte von Anfang an eine besonders sportliche Vorgabe im Raum: Das Werk musste maximal zehn Monate nach dem ersten Spatenstich in den Vollbetrieb gehen. „Die kleineren komplexen Bauteile werden nach wie vor im Headquarter in Karlstein hergestellt, aber für die größeren Bauteile in hoher Stückzahl benötigten wir zusätzliche Fertigungskapazitäten“, verrät Standortleiter Manfred Jäger. „Wir wollten hier vornehmlich Gehäuse und Deckel für Türschließsysteme weitgehend automatisiert mit möglichst wenig Logistikaufwand durchschleusen“, präzisiert er eine der Grundanforderungen an die ausführenden Unternehmen Peneder, STIWA und Beckhoff.
Seitens Pollmann dezidiert erwünscht war außerdem ein nachhaltiger Umgang mit Energie und sonstigen Ressourcen, die Sicherstellung strukturierter Personen- und Warenströme sowie eine flexible Erweiterbarkeit des Standorts in mehreren Ausbaustufen.
Im Moment werden 9.400 m² für die Produktion, für ein Hochregallager mit derzeit 5.500 Paletten-Stellplätzen, für Büros, Technik- und Sozialräume genutzt. „Der in der Planungsphase gemeinsam erarbeitete Masterplan wurde allerdings so ausgelegt, dass sich dieses Werk sehr schnell und einfach auf insgesamt bis zu fünf Hallen ausdehnen lässt. Da alle Versorgungsleitungen sowie Personen- und Warenströme in einer zentralen Logistikachse zusammenlaufen, reicht es, diese Magistrale entsprechend zu verlängern, um die nächste Ausbaustufe einzuleiten“, beschreibt Harald Setka, Architekt bei der Peneder Bau-Elemente GmbH, einen Lösungsansatz, von dem sich Robert Pollmann auf Anhieb begeistert zeigte: „Da merkt man dann den Unterschied, wenn man bei einem Industriebau-Projekt auf wirkliche Spezialisten ihres Faches vertraut. Wir selbst hätten weder an eine Nord-Süd-Ausrichtung des Gebäudes gedacht noch wären wir auf die Idee gekommen, für einen mittig platzierten Infrastruktur-Kanal zu sorgen, von dem links und rechts die Achsen zu den einzelnen Verbrauchern wegführen. Das war für mich neu, so etwas hatte ich zuvor noch nicht gesehen“, lobt der geschäftsführende Gesellschafter die vorausschauende Herangehensweise seines Architektur- und Bauspezialisten.

Realer Ausblick auf die Zukunft – ein digitaler Zwilling macht‘s möglich
Die geladenen Gäste konnten sich bereits beim Spatenstich ein detailliertes Bild vom neuen Werk machen. Man konnte dieses sogar durchschreiten und dabei Material- und Energieflüsse „live“ verfolgen. Pollmann konnte die Positionierung der Maschinen begutachten, checken, ob diese für das Wartungs- bzw. Bedienpersonal gut zugänglich sind, und vieles andere mehr. Ein Blick durch die 3D-Brille machte dies alles möglich, nachdem die ausführenden Firmen den Computer bereits nach den ersten Brainstorming-Runden mit entsprechenden Daten fütterten. „Bevor wir in die tatsächliche Planungsphase übergingen konfrontierten wir die Firma Pollmann in einem unserer Planungsworkshops mit Fragen wie: Welche Produkte werdet Ihr in diesem Werk fertigen? In welcher Stückzahl? Welche Maschinen werden dazu angeschafft? Woher kommen die Rohmaterialien? Mit welchen Durchsatzzahlen ist zu rechnen? Etc. Denn umso genauer die Angaben, desto besser können wir planen“, zeigt Thomas Führer, Leiter des Geschäftsbereichs Gebäudeautomation bei der STIWA Holding, dass es bei der Errichtung einer neuen Fertigungsstätte bei Weitem nicht nur ums Bauen geht. Stattdessen seien leistungsstarke Logistikachsen für Material, Energie und Personal, in einem ersten Schritt geplante sowie absehbare zukünftige Aktivitäten, sinnvolle Vernetzungen zwischen Produktion und Haustechnik und vieles andere mehr mitzubedenken.
„Die große Herausforderung bei diesem Industriebau-Projekt war es, ein bedarfsorientiertes, intelligentes Regelungskonzept zu entwickeln, das die Fertigungs- mit der Gebäudeautomation vereint. Aber dadurch, dass bei Pollmann in beiden Bereichen auf PC-basierte Steuerungstechnik von Beckhoff Automation gesetzt wird, war dieser technologische Schulterschluss besonders einfach möglich. Somit können wir nicht nur die gebäudetechnischen Anlagen überwachen und regeln, sondern auch Betriebsdaten in Echtzeit erfassen“, erklärt Thomas Führer, worüber sich vor allem der Facility-Management-Leiter des neuen Pollmann-Standorts Rainer Hobiger erfreut zeigt. „Über unser von Peneder und STIWA konzipiertes Online-Werkscockpit sehen wir sogar, welche Maschinen laufen bzw. wie gut sie dies tun. Denn ein plötzlich auftretender erhöhter Energieverbrauch kann nur zwei Dinge bedeuten: eine höhere Stückzahl oder Verschleiß. Da wir aber durch das ausgeklügelte Zusammenspiel unserer Automatisierungssysteme auch nachverfolgen können, wie viele Bauteile pro Stunde an einer bestimmten Anlage gefertigt werden, können wir ersteres nach einem Soll-/Ist-Mengen-Vergleich vielleicht sofort ausschließen und stattdessen gleich einen Betriebselektriker vor Ort schicken.“

Kooperativer Expansionserfolg
Worüber sich alle Beteiligten einig zeigten: Ohne Building Information Modelling (BIM) wäre eine Bauzeit von lediglich zehn Monaten für das Werk II wohl niemals einzuhalten gewesen. „Dank integraler Planung haben wir in relativ kurzer Zeit ein smartes Industriegebäude erhalten, das uns optimal beim Erreichen unserer Ziele unterstützt. Die Entscheidung, diesen für uns enorm wichtigen Expansionsschritt gemeinsam mit Peneder, STIWA und Beckhoff zu gehen, war mit Sicherheit die richtige. Wir waren ein gutes Konglomerat und haben sehr effizient und produktiv zusammengearbeitet“, freut sich Robert Pollmann über das gelungene Grüne-Wiese-Bauprojekt. (BO)