MedAustron im Kampf gegen Krebs.

NEW BUSINESS Bundeslandspecial - NIEDERÖSTERREICH 2019
Im Vollbetrieb können bei MedAustron bis zu 1.000 Patienten jährlich davon profitieren. © Kästenbauer/Ettl

Rund 200 Mio. Euro Investitionskosten, auf 200.000 km/s beschleunigte Teilchen, internationale Spitzenforschung und -therapie, verteilt auf 32.000 niederösterreichische Quadratmeter.

Vor ziemlich genau acht Jahren, am 16. März 2011, fiel mit der feierlichen Grundsteinlegung der offizielle Startschuss für ein Jahrhundertprojekt der österreichischen Forschungsgeschichte. Um rund 200 Millionen Euro wurde in Zusammenarbeit mit dem international anerkannten CERN-Institut das Zentrum für Krebsforschung und Krebsbehandlung MedAustron in Wr. Neustadt errichtet. „Diese Grundsteinlegung ist eine Zäsur in der gesamten Entwicklung des Bundeslandes Niederösterreich“, erklärte der damalige Landeshauptmann Erwin Pröll im Zuge seiner Festrede. Für ihn sei der Festakt „ein Signal des Erfolgs, ein Signal der Hoffnung und ein Signal der Zukunft“. So werde heute „sichtbar und spürbar, dass dieser Standort in der Lage ist, international zu reüssieren“, so Pröll. Wahre Worte: Nur acht Monate nach der Grundsteinlegung wurde die Dachgleiche gefeiert und weitere zehn Monate später war das Gebäude bereits fertiggestellt. Parallel zu den Arbeiten am Gebäude wurde am europäischen Kernforschungszentrum CERN der Teilchenbeschleuniger von MedAustron entwickelt und im neuen Gebäude eingebaut. Rund 50 Mitarbeiter waren dafür in der Schweiz im Einsatz. Im März 2012 wurde dort bereits der Teststrahl für Med­Austron von Erwin Pröll erfolgreich gestartet.

Spitzentechnologie mit Weltformat
Ob Hülle, Kern oder Therapie – bei Med­Austron wurde ausschließlich innovative Spitzentechnologie angewendet. So kam für den Bau beispielsweise die sogenannte „Sandwich-Technologie“ zum Einsatz, die eine erhebliche Zeit- und Kostenersparnis mit sich brachte und dabei auch noch eine umweltschonende Bauweise ist. Keinesfalls „08/15“ ist auch die komplexe Technik bei MedAustron, für die zahlreiche Weiter-und Neuentwicklungen nötig waren: Neben dem bereits erwähnten Teilchenbeschleuniger wurde die Steuerungssoftware für den gesamten Behandlungsablauf gemeinsam mit den Wissenschaftlern der Paracelsus Medizinischen Universität in Salzburg neu entwickelt. Die Protonengantry etwa – eine 180 Grad um den Patienten rotierbare Bestrahlungseinrichtung – wurde in Zusammenarbeit mit Schweizer Maschinenbauingenieuren entworfen. Einen wahren Meilenstein in der Bestrahlungstherapie markierte auch das Patientenpositionierungssystem, bei dem erstmals weltweit höchst präzise Patientenlagerungen erreicht werden können – unabdingbar für eine erfolgreiche, millimetergenau Tumorbestrahlung. Nicht zuletzt ist natürlich auch die Therapieform bei MedAustron beispielgebend, denn bis dato gab es erst drei Zentren weltweit, die die Bestrahlung mit Protonen- und Kohlenstoffionen gemeinsam anbieten können. MedAustron sollte als viertes derartiges Zentrum eine wesentliche Rolle bei der Krebsbehandlung und Forschung in Europa einnehmen.

Was versteht man unter ­Ionentherapie?
Die Therapiemethode basiert auf den besonderen physikalischen Eigenschaften von Ionen. Beim Eindringen von geladenen Teilchen in das menschliche Gewebe geben diese Energie ab. Je langsamer sie werden, desto höher ist der Energieverlust, der kurz vor dem annähernden Stillstand seinen Höhepunkt erreicht („Bragg-Peak“). Das macht sich die Ionentherapie zunutze: Die maximale Energieabgabe kann genau auf den Bereich der Tumorerkrankung fokussiert werden. Die frei werdende Energie verursacht Schäden an der DNA der Krebszellen, die zur Zerstörung des Tumors führen. Dabei spricht man von der „biologischen Wirksamkeit“ von Ionen, wobei diese bei Kohlenstoffionen noch höher ist als bei Protonen. Radioresistente Tumore werden dadurch in ihrem Wachstum gestoppt und vernichtet.
Die Ionentherapie kommt vor allem bei Tumoren zur Anwendung, die gegen traditionelle Strahlen resistent sind oder sich in einer schwierig zu behandelnden anatomischen Lage befinden. Mehr als 175.000 Patienten wurden weltweit bereits mit Partikeltherapie behandelt. Durch die Forschung bei MedAustron trägt das Behandlungszentrum auch zur Weiterentwicklung der Ionentherapie bei. In Zusammenarbeit mit den Kollegen der konventionellen Strahlentherapie und anderen Partikeltherapiezentren soll noch besser definiert werden, welche Patienten am meisten von einer Bestrahlung mit Protonen oder Kohlenstoffionen profitieren, um ihnen die bestmögliche Behandlung bieten zu können. Indikationen zur Protonen- oder Kohlenstoff­ionentherapie können zum Beispiel Tumore der Schädelbasis, Kopf- und Halstumore, Hirntumore, Sarkome oder HNO-Tumore sein. Die Ionenbestrahlung ist ebenso anwendbar bei Tumorerkrankungen an Lunge, Pankreas, Leber oder in der Beckenregion. Besonders bei kindlichen Tumoren ist oft eine Ionentherapie indiziert.

Laufende Erweiterungen
Im Jahr 2016 war es dann endlich so weit: Nach der Zertifizierung des Teilchenbeschleunigers zum geprüften Medizinprodukt wurde am 14. Dezember mit den Bestrahlungen begonnen. Die initia­le Behandlung verlief planmäßig und reibungslos. Das Medizinteam unter der Leitung von Eugen B. Hug hatte alle Details bestens vorbereitet und freute sich über den gelungenen Start.
Seitdem wurden die Behandlungsmöglichkeiten laufend erweitert. Konnte zu Beginn die Bestrahlung von Tumoren nur horizontal erfolgen, so geschieht dies seit vergangenem Jahr auch aus vertikaler Richtung. Eugen B. Hug erklärt die Vorteile dieser Erweiterung: „Zum einen vereinfacht die vertikale Strahlrichtung die Lagerung der Patienten, denn eine Positionierung in Seitenlage, wie sie in manchen Fällen erforderlich ist, ist gegenüber der Rücken- oder Bauchlage stets instabiler. Zum anderen können nun auch zusätzliche Indikationen behandelt werden. Dazu zählen beispielsweise bestimmte Tumore entlang der Wirbelsäule oder im Beckenbereich. Nicht zuletzt bei der Behandlung von Kindern stellt diese Erweiterung einen großen Mehrwert dar.“
Diese neue Option ist ein wichtiger Entwicklungsschritt für MedAustron, dem noch weitere folgen werden. Bereits im kommenden Jahr wird mit Kohlenstoff­ionen eine weitere Teilchenart neben den derzeit eingesetzten Protonen zur Verfügung stehen. Damit wird erneut das Spektrum an behandelbaren Tumoren erweitert werden, diese Teilchen finden besonders in der Behandlung von strahlenresistenten Tumoren Anwendung. Die letzte Erweiterung hinsichtlich der Behandlungsoptionen bildet schließlich eine Gantry für Protonen, mithilfe derer der Strahl nicht nur aus horizontaler oder vertikaler Richtung, sondern aus beliebigem Winkel auf den Tumor gerichtet werden kann.

Neuer 50-Tonnen-Magnet
Dass Parallel zum Patientenbetrieb weiterhin unentwegt an der Erweiterung der Behandlungsoptionen gearbeitet wird, wurde auch Ende 2018 wieder deutlich sichtbar, als spezielle Magneten für den dritten Behandlungsraum über das Dach in das Zentrum eingehoben wurden.
Elektromagneten sind die Hauptbestandteile des MedAustron-Beschleunigers, sie übernehmen vor allem die Lenkung des Teilchenstrahls. Verschiedene Arten von Magneten ganz unterschiedlicher Größe sind in der Anlage verbaut, der größte davon wiegt gar 120 Tonnen. Noch immer beachtliche 47 Tonnen hatte nun ein weiterer Koloss, der kürzlich an seinen Platz in einem der Bestrahlungsräume gehoben wurde. Es handelte sich dabei um einen Dipolmagneten, der später den Protonenstrahl um 90 Grad umlenken wird, um als Teil der sogenannten Gantry die Bestrahlung der Patientinnen und Patienten mit Protonen aus beliebigen Winkeln zu ermöglichen. Für den Einhub wurden zwei Kräne benötigt: Zunächst musste der Magnet von einem 200-Tonnen-Kran in die richtige Position gedreht werden, bevor ihn ein 500-Tonnen-Kran übernehmen und über eine Dachöffnung an seinen Platz befördern konnte. Dabei war das Positionieren des heiklen Guts an der richtigen Stelle Millimeterarbeit, 14 Personen sorgten für den reibungslosen Ablauf des Vorhabens.
Wie auch schon andere Magneten bei MedAustron, stammt dieser von einem spezialisierten französischen Unternehmen. Etwa 14 Monate dauert es, bis ein derartiger Dipolmagnet gefertigt ist, drei Tage nahm der Transport des 3,5 x 2,4 x 2 Meter großen Magneten in Anspruch. Bevor dieser Magnet und damit die Gantry in den klinischen Einsatz gehen kann, ist nun noch eine Vielzahl an Installations- und Testarbeiten erforderlich.
Davor wird bei MedAustron aber noch eine andere bedeutende Errungenschaft in den Medizinbetrieb aufgenommen, wie MedAustron Aufsichtsratsvorsitzender Klaus Schneeberger verrät: „Bei MedAustron wird nicht zuletzt deshalb im 24/7-Modus gearbeitet, um neben Patientenbetrieb und Forschungstätigkeit auch den Ausbau bis zum Vollbetrieb zu ermöglichen. So werden zusätzlich zu Protonen auch Kohlenstoffionen für die Bestrahlung zur Verfügung stehen, wodurch sich MedAustron vollends als eines von nur sehr wenigen Zentren weltweit im Spitzenfeld der Ionentherapie positionieren wird.“ (BO)

INFO-BOX
Aktueller Status
Bei MedAustron werden Patienten derzeit täglich in zwei Bestrahlungsräumen behandelt. Dabei kommen sowohl ein horizontaler, als auch ein vertikaler Protonenstrahl zum Einsatz. Ab diesem Jahr wird auch die Bestrahlung mit Kohlenstoffionen im Patientenbetrieb möglich sein. Parallel zum klinischen Betrieb erfolgen die weitere Kommissionierung des Zentrums sowie die nicht-klinische Forschung in der Nacht und am Wochenende. Nach Inbetriebnahme der Kohlenstoffionen für Behandlung und Forschung sind die nächsten Meilensteine die Fertigstellung des dritten Behandlungsraumes sowie die Erhöhung der Behandlungskapazitäten für den Vollbetrieb mit bis zu 1.000 Patienten pro Jahr.
www.medaustron.at