Ellen Lohr arbeitet nach ihren Rennsportkarriere für die Grazer AVL © APA - Austria Presse Agentur

Sie gilt in Fachkreisen und im Rennsport als Legende und führt nach 31 Jahren Rennkarriere nun beim Grazer Technologie-Konzern AVL List die Geschicke der Racing-Abteilung: Motorsportdirektorin Ellen Lohr. Die gebürtige Deutsche und Wahl-Monegassin pendelt momentan regelmäßig von Monaco nach Graz, doch mittelfristig könnte die 56-Jährige in die Steiermark ziehen. Vom Job bei der AVL schwärmte sie im APA-Gespräch: "Graz hat mich überrascht, eine echt tolle Stadt."

"Meine Position bei der AVL ist ein Traumjob. Da passt was zusammen, also stehe ich einem Umzug in den nächsten ein bis zwei Jahren sehr positiv gegenüber", ergänzte sie. Man kann es als Coup bezeichnen, der der AVL mit Lohr gelungen ist: Seit Jahresbeginn 2021 ist sie offiziell Motorsportdirektorin des Konzerns und federführend in der Abteilung AVL Racing. Sie folgte Michael Resl, der nach acht Jahren AVL zu Gerhard Berger in die DTM gewechselt war. Zum Einstieg in ihr Berufsleben nach dem aktiven Rennsport gab sie der APA Einblicke in die Hintergründe und ihre neuen Aufgabenfelder: "Ich habe fast 32 Motorsportjahre auf dem Buckel. Nach 30 Jahren wollte ich eigentlich aufhören - eine Entscheidung des Kopfes nicht des Herzens, weil fahren will man ja, bis man kurz vor dem Grab steht, aber ich hatte einen blöden Unfall genau in meinem 30. Jahr und war nicht fit und daher habe ich noch ein Jahr drangehängt", schilderte Lohr den Ausklang ihrer Karriere als aktive Rennfahrerin.

"Ich bin jedes dieser Jahre auch Rennen gefahren, sehr viele Jahre davon als Profi, aber ich habe auch immer andere Dinge gemacht. Schon früh habe ich eine Event-Agentur betrieben, für's Fernsehen und für's Radio gearbeitet. Ich war Team-Chefin eines Formel 3-Teams, damals zusammen mit Keke Rosberg, und war auch Marketing-Chefin bei Venturi in der Formel E. Damals war die Konkurrenz beim Energiemanagement viel besser als wir und so stieß ich auf die Simulationstools von AVL."

Kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie sei dann der Kontakt zustande gekommen, als die Stelle des Motorsportdirektors frei war: "Und jetzt bin ich da und es fühlt sich gut an. Es ist ein irrsinnig interessanter Job, weil ich die ganze Bandbreite auf dem Tisch habe - von Marketing und Kommunikation bis hin zu hochtechnischen Details. Es gibt gar nicht so viele, die diese Bereiche und ein tiefes Wissen über Motorsport verbinden können. Es ist ein perfektes Match aus meiner Sicht."

Dezidierte Ziele hat sich die Deutsche bei der AVL zunächst noch nicht gesteckt: "Meine Aufgaben sind klar: Kommunikation und Marketing kann man im Bereich Racing verbessern, weil man da sehr emotional kommunizieren kann - das wurde bisher vielleicht etwas vernachlässigt. Weiters steht das Thema Lead Development auf meiner Liste, sprich: Den Bereich Racing für noch mehr Themen zu öffnen, wie etwa die Rallye Dakar, wo wir bisher noch nicht aktiv sind, ebenso wie Truck Racing oder Langstreckenklassiker. In 17 Rennserien sind wir momentan aktiv, darunter Formel 1, MotoGP, Nascar, Le Mans und DTM."

Es werde noch eine Weile dauern, bis sie alle Bereiche der AVL gesehen hat: "Ich lerne täglich dazu, das Unternehmen ist so groß. Wir sind in so vielen Ländern aktiv, es braucht Zeit, die AVL zu durchdringen, die Kompetenzen aller Schwestergesellschaften weltweit im Detail kennenzulernen und auch herauszufinden, wie die AVL Racing mit den verschiedenen Standorten noch besser zusammenarbeiten kann. Nach viereinhalb Monaten sehe ich aber schon die Richtung."

AVL Racing ist bekannt für Prüfstände und Simulatoren für Rennställe, aber ganz wesentlich ist auch das Engineering und Softwarelösungen. Auch bei den Themen Batterie und Hybrid gibt es die entsprechende Kompetenz: "Das Engineering ist immer noch der Hauptteil unserer Arbeit. Immer wichtiger wird aber die Software - etwa bei den Simulatoren", sagte Lohr. Hinzu kommt das Manufacturing, das hauptsächlich bei der Tochterfirma Schrick in Deutschland geschieht.

Wachstum im Bereich des Motorsport gibt es ihrer Ansicht nach genug: "Ich komme zum einen in einer entscheidenden Zeit dazu: Wir haben im Motorsport momentan viel zu tun mit Budgetkürzungen, wo seitens der FIA festgelegt wird, dass etwa nur so und so oft getestet oder nur ein bestimmtes Budget verbraucht werden darf. Das sind ungeheure Beschränkungen, die uns als AVL direkt betreffen und die aus ökonomischer Sicht für uns eine schlechte Entwicklung darstellen. Andererseits ist momentan soviel Engineering und Testen für die Themen Elektrifizierung und Hybridisierung, Fuel-Cell und so weiter nötig. Das ist für uns ein richtiger Kick - auch in den kommenden Jahren, weil die Technologie sich rapide verbessert und immer weiter verbessern muss. Und ich komme zu einer Zeit, wo es tatsächlich kein Marketing-Blabla mehr ist. Der Motorsport ist wieder das Versuchsfeld der Automobilindustrie."

Lohr betonte: "Wir müssen in der Entwicklung schnell sein und da kommt die große Stärke der AVL zu tragen: Wenn man eine einfache Race-Tec-Firma ist, dann ist man zwar klein und flexibel, aber man kann nicht auf viele Ressourcen zurückgreifen." Die AVL dagegen verfüge über diese Möglichkeiten, um "Vorreiter zu sein". Ein Beispiel sei die Driver-in-the-Loop-Simulation. Dabei ist der Fahrer im Simulator mit dem Fahrzeug auf dem Prüfstand verbunden, so dass die simulierten Daten direkt übertragen und weitere Daten ausgewertet werden können. "Das ist dann Highend-Testing für die Rennteams und Hersteller", so Lohr.

Zur Person: Ellen Lohr wurde am 12. April 1965 in Mönchengladbach geboren und begann 1980 ihre Motorsportkarriere im Kartsport. Es folgte der Aufstieg in diverse Rennserien, Formelsport, Tourenwagen, GT-Sport, Truck Racing und Rallye-Sport. Ihren wohl größten Erfolg feierte sie 1992 am Hockenheimring als sie als erste und bisher einzige Frau ein DTM-Rennen gewinnen konnte. Zuletzt fuhr sie 2019 Nascar-Rennen. Sie lebt seit 27 Jahren in Monaco.

(Das Gespräch führte Ingrid Kornberger/APA)